Gab es einen Wendepunkt in Ihrem Liebensleben? Dieser und ähnlichen Fragen geht die Forschung nach.26/6/2018
Wir sind Geschichtenerzähler unseres Lebens. Dies muss nichts Schlechtes sein – ganz im Gegenteil. Menschen brauchen es, ihr Leben als Geschichte erzählen zu können. Welche Rolle spielt es jedoch für das Liebensleben, ob und welche Geschichte wir uns erzählen? Forscher/innen der University of California, USA gingen dieser Frage auf den Grund. Eine Studie von William L. Dunlop, Grace E. Hanley, und Tara P. McCoy (2018) Wir alle erzählen Geschichten. Vor allem uns selbst. Auch wenn es unwahrheitsgemäss anmutet, wenn wir sagen, unser Leben sei eine Geschichte, so ist es eine grundlegende Funktion von uns Menschen, dass wir unser Leben als Geschichte betrachten können (im Vergleich zu Kleinkindern oder Tieren, die das (noch) nicht können). Aus dieser Geschichte schöpfen wir Identität. Der Forschungszweig, der sich in der psychologischen Forschung damit beschäftigt, heisst demnach narrative identity research und befasst sich mit der Beforschung unserer erzählten Identität.
Wofür brauchen wir diese narrative Geschichte? Narrative erfüllen eine Schlüsselfunktion im Leben von uns Menschen, da es unserem Leben Sinn und Bedeutung verleiht. Narrative helfen uns dabei, die erinnerte Vergangenheit, die Gegenwart und die vorgestellte Zukunft miteinander zu verbinden. Dies ermöglicht uns auch, neue Ereignisse, die in unser Leben treten, in die Gesamtgeschichte einzubetten, und damit eine sich ständig weiterentwickelnde Geschichte zu leben. So hat die psychologische Forschung beispielsweise zeigen können, dass Lebensnarrative als Ressource für den Erzählenden gelten und mit verschiedenen physischen wie psychischen Aspekten des Wohlbefindens zusammenhängen. Während die meisten psychologischen Forschungszweige Fragebögen einsetzen, so verwendet die narrative Forschung Interviews. Wie anders könnte man auch einem ganzen erzählten Leben gerecht werden? Jedoch wird nicht jedes Detail in diesen Interviews erfragt. Vielmehr geht es darum, eine übergeordnete Struktur zu erhalten und zu erfahren, wie die erzählende Person gewisse Ereignisse, die ihr widerfahren sind oder die sie erleben durfte, in den Gesamtzusammenhang ihres Lebens stellt. Beispielhafte Fragen sind: «Wenn Sie Ihr Leben in Kapitel einteilen dürften, welche Kapitel gäbe es und welche Titel würden diese Kapitel tragen?» oder auch «Was war der Höhepunkt in Ihrem Leben und was sagt dies über Sie als Person aus?». Wie aus diesen Fragen ersichtlich ist, benötigt es eine gewisse Reflexionsfähigkeit, um ein sinnstiftendes Narrativ aufbauen zu können, sodass sich ein Narrativ erst im späten Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter entwickelt. Welche Rolle spielen Narrative nun aber für unser Liebesleben? Erst seit kurzem beschäftigen sich verschiedene Forschungsgruppen mit dieser spannenden Frage. Beispielsweise ging die Forschungsgruppe um William Dunlop von der University of California der Frage nach, welche konkreten Momente Personen aus ihrem Liebensleben berichten und wie diese erzählten Momente mit verschiedenen Aspekten der Person zusammenhängen. So konnten die Forscher/innen zeigen, dass «heiraten», «erste Partnerin/erster Partner» sowie «körperliche/emotionale Verbindung» als die drei Ereignisse genannt werden, die Personen als Höhepunkt ihres Liebenslebens ansahen. Tiefpunkte waren Aspekte, die sich um eine Trennung oder Scheidung drehten. Als Wendepunkte wurden «das Kennenlernen des jetzigen Partners», «eine Trennung» sowie «das Zusammenziehen» genannt. Damit konnte gezeigt werden, dass die narrative Erzählstruktur auch im Liebesleben von Personen stattfindet: Wir sortieren unsere Liebesgeschichte in verschiedene Szenen und können somit Erlebtes in einen Gesamtzusammenhang einbetten. Wie genau werden diese Geschichten aber erzählt und gibt es zwischen Personen Unterschiede in ihrem Erzählstil? Um diese Frage beantworten zu können, befragten die Forscher/innen Personengruppen von 75 bzw. von 149 Personengruppen zu ihren Höhepunkten, Tiefpunkten, und Wendepunkten in ihrem Liebesleben, d.h., zu jeweils einem einzelnen und konkreten Ereignis ihres Lebens, das Sie als ein (1) besonders erfreuliches Ereignis, (2) ein besonders schwieriges oder trauriges Ereignis, und (3) als einen Moment der Veränderung wahrnahmen. Zudem erfassten sie verschiedene Eigenschaften der Person (wie demographische Angaben oder Persönlichkeitseigenschaften). Neben verschiedenen Fragestellungen, die die Forscher/innen hatten, wollten sie unter anderem herausfinden, ob sich Personen, die in einer Beziehung sind, und Singles in den Szenen ihres Liebenslebens unterscheiden oder diese gleich berichten. So konnte die Forschergruppe etwa zeigen, dass Personen, die in einer Beziehung sind, tendenziell mehr Szenen ihres Lebens teilen, in denen andere Personen vorkommen (verglichen mit Szenen, in denen man selbst etwas getan oder erreicht hat). Zudem hatten die Geschichten von Personen, die in einer Beziehung lebten, einen stärker emotional positiv gefärbten Ton als Singles. Auch zeigte sich, dass Personen, denen es schwerfällt, sich emotional auf eine andere Person einzulassen (d.h., Personen mit einem unsicheren Bindungsstil) weniger soziale Ereignisse und seltener einen emotional positiven Ton verwendeten, als dies bei Personen der Fall war, die sich emotional leichter auf eine andere Person einlassen können (d.h., Personen mit sicherem Bindungsstil). Zusammenfassend zeigt sich durch diese Studien, dass Narrative auch im Liebesleben eine Rolle spielen. Zum einen funktioniert unsere Erinnerung so, dass wir gewisse Ereignisse als Höhepunkte, Tiefpunkte oder Wendepunkte in unser Narrativ des Liebeslebens einbauen. Zum anderen scheint es für die Art und Weise, wie wir ein Narrativ kreieren, wichtig zu sein, ob wir gerade liiert oder Single sind, und welche Persönlichkeit wir haben. Offen bleibt die Frage, welche Rolle Narrative innerhalb eines Paares spielen. Ist es beispielsweise wichtig, dass beide Partner/innen das gleiche Ereignis als Wendepunkt in ihrer Beziehung betrachten? Weitere Forschung ist benötigt, um dieser Frage auf den Grund zu kommen. Dieser Blogpost wurde von M.Sc. Janina L. Bühler verfasst. Bildquelle: www.barbara-egin.de Kommentare sind geschlossen.
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