„Vergibst du mir?“ Wir werden in unserem Leben immer wieder vor diese Wahl gestellt. Am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, an der Uni, aber auch in einer Partnerschaft sind wir immer wieder mit dieser Frage konfrontiert – auch wenn nicht immer alle, die uns verletzt haben, demütig um Verzeihung bitten... Dass Vergebung für eine Beziehung wichtig ist, dem würden wohl die meisten Menschen zustimmen. Doch ist es auch für einem selbst besser, anderen zu vergeben – oder kann es auch negative Konsequenzen haben? Studien von Kinga Kaleta und Justyna Mróz (2018) und Laura Luchies, Eli Finkel, James McNulty und Madoka Kumashiro (2010) Der Partner, der sich nicht an die Abmachung gehalten hat. Die Partnerin, die sich wieder einmal nicht zurückmeldet. Die Freundin, die hinter unserem Rücken über uns gelästert hat. Die Eltern (oder die Kinder), die einen einfach nicht verstehen. Irgendwann stehen wir alle vor der Entscheidung: Vergeben, ja oder nein?
“Vergebung ist der Schlüssel, der die Handschellen des Hasses aufschliesst”. Dieses Zitat von Corrie ten Boom spricht davon, dass Vergeben nicht nur für Beziehungen, sondern auch für einem selbst gut und befreiend ist. Doch wie wichtig ist Vergebung für das eigene Wohlbefinden tatsächlich? Kinga Kaleta und Justyna Mróz, zwei Psychologinnen aus Polen, widmeten sich dieser Frage und untersuchten den Zusammenhang zwischen Vergebung und der Lebenszufriedenheit bei über 400 Erwachsenen im Alter von 19 und 67 Jahren. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Vergebung und der eigenen Lebenszufriedenheit: Personen mit einer höheren Lebenszufriedenheit, gaben an, vergebender zu sein und sowohl anderen als auch sich selbst eher zu vergeben. Insgesamt geht Vergebung mit höherer Lebenszufriedenheit einher und vergebende Menschen scheinen tatsächlich freier – oder zumindest zufriedener - zu sein. Dass jedoch der Einfluss von Vergebung gerade in romantischen Beziehungen differenziert angesehen werden muss, zeigen die Studien einer Forschungsgruppe aus den USA und UK. Luchies, Finkel, McNulty und Kumashiro untersuchten, welchen Einfluss es auf das eigene Selbstbild hat, dem Partner oder der Partnerin zu vergeben. Über die Studien hinweg zeigte sich, dass Vergebung dann mit höherem Respekt für sich selbst und mit grösserer Klarheit über den eigenen Wert und die eigene Identität, einhergeht, wenn der Partner oder die Partnerin Reue zeigt und beteuert, dass er/sie die verletzte Person in Zukunft wertschätzen wird. In Situationen, in denen der Partner oder die Partnerin jedoch keine Reue zeigt und auch keine Besserung des Verhaltens versichert, führt Vergebung eher dazu, dass der Selbstrespekt und die Klarheit über die eigene Identität sinken. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass man in solchen Situationen das Gefühl hat, gegen die eigenen Überzeugungen gehandelt zu haben und nicht für sich selbst eingestanden zu sein. Dieser negative Einfluss auf das Selbstbild wird als der „Fussmatten-Effekt“ bezeichnet, da einfaches „Vergeben und Vergessen“ in diesem Fall dazu führen kann, dass man sich selbst als „Fussmatte“ der anderen sieht - und vielleicht mit der Zeit von den anderen auch so behandelt wird. Zusammenfassend kann man also sagen: Vergebung scheint nicht nur für Beziehungen, sondern auch für einen persönlich sehr wichtig zu sein und mit höherer Lebenszufriedenheit einherzugehen – allerdings nur dann, wenn wir von Herzen und freiwillig vergeben und nicht einfach, weil wir uns nicht trauen, für unsere Bedürfnisse einzustehen. In diesem Sinne: Vergebung tut uns gut, aber nur dann, wenn das Unrecht der anderen benannt wird und wir für uns und unsere Werte einzustehen. Dieser Blogpost wurde von BSc. Sabrina Brunner verfasst. Bildquelle: Vic/Flickr Kommentare sind geschlossen.
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